Alternative Materialien und ihr ökologischer Wert

  • Schuhe aus Ananasblättern – klingt ökologisch. Doch bei alternativen Materialien ist Vorsicht geboten.


  • Das Gleiche in Grün?

    • Manches klingt so wunderlich, dass man es kaum glauben mag: Tassen aus recyceltem Kaffeesatz, Leder aus Pilzen, Schuhe aus Ananasblättern – das ist im ersten Moment schwer vorstellbar. Zugleich ist der Gedanke verlockend, dass aus natürlichen Rohstoffen oder gar biologischen Abfallprodukten ökologischere Materialien entstehen als die, die wir derzeit verwenden. Tatsächlich kommen stetig neue Stoffe auf den Markt, die suggerieren, Lösungen für grundlegende Umweltprobleme zu sein. Doch was ist dran an diesen Versprechungen und wo lohnt es sich, kritisch nachzufragen?

      Es gibt zahlreiche Gründe, nach neuen Materialien zu forschen. Ganz oben stehen wachsende Müllberge, Mikroplastik, das begrenzte Vorhandensein bestimmter Rohstoffe wie Erdöl, Erdgas und Kohle sowie Zweifel an der gesundheitlichen Unbedenklichkeit mancher bekannter Substanzen. Insbesondere für synthetische Stoffe benötigen wir biologisch abbaubare oder recycelbare, gesunde Alternativen aus nachwachsenden Rohstoffen. Aber auch für natürliche Materialien kann es bessere Lösungen geben. Um Ressourcen zu schonen, kann es erstrebenswert sein, Stoffe zu entwickeln, die besonders ökologisch gewonnen werden können, um damit beispielsweise natürliche und nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen, die bei der Gewinnung und Verarbeitung einen hohen Energieaufwand erfordern. Im Hinblick auf Leder wünschen sich außerdem viele Menschen eine vegane und ökologische Variante.
    • Damit natürliche und nachwachsende Rohstoffe ihren ökologischen Wert voll entfalten können, müssen sie biologisch gewonnen werden.
    • Die Anzahl der Materialien, die herkömmliches Plastik ersetzen sollen, ist hoch. Oft handelt es sich dabei um so genannte Bio-Kunststoffe. Allein im Bereich Geschirr reichen die Alternativen von Mais, Weizenstroh, Reis und Hirse über Bambus bis zu recyceltem Kaffeesatz. Die Begriffe Bio-Plastik, Bio-Kunststoff oder Natur-Kunststoff – an sich höchst fragwürdige Bezeichnungen – sind nicht geschützt und werden sowohl für Kunststoffe verwendet, die auf nachwachsenden Rohstoffen basieren, als auch für solche, die biologisch abbaubar sind. Beide Aspekte bedingen sich nicht zwingend. Auch wenn Bio-Plastik auf nachwachsenden Rohstoffen basiert und abbaubar ist, so verursacht das in der Praxis Schwierigkeiten. Das Material ist nur in industriellen Kompostieranlagen zersetzbar. Diese sind auf den langen Zerfallsprozess neuer Bio-Kunststoffe nicht eingestellt und eine Umstellung der Anlagen ist wirtschaftlich nicht rentabel. Zudem ist Bio-Kunststoff – im Unterschied zu einem konventionellen Plastikprodukt – nicht sortenrein, sodass er in vielen Fällen faktisch weder kompostiert noch recycelt werden kann.

      Ein Bio-Kunststoff, der seit einigen Jahren große Aufmerksamkeit erregt, ist Lignin. Der Rohstoff wird wie Cellulose in Holz gebildet, ist somit in großen Mengen verfügbar und fällt bei der Papierherstellung an. Er bildet die Grundlage für ein Material, das herkömmlichem Plastik nicht nur sehr ähnlich ist, sondern zudem als frei von Weichmachern sowie anderer Chemie gilt und – wenn auch langsam – komplett biologisch abbaubar ist. Mittlerweile kommt es in Kinderspielzeug, Büroartikeln, Gehäusen von elektronischen Geräten, Kaffeekapseln und in diversen weiteren Produkten zum Einsatz. Dabei ist auch Lignin nicht frei von Kritik. Die Sorge ist, dass der Bedarf an Holz die Rodung des Regenwaldes begünstige und weitere natürliche Zusätze des Materials in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion stünden. Andere Bio-Kunststoffe werden aus Zuckerrohr, Mais oder Kartoffeln hergestellt, aber der überwiegend konventionelle Anbau dieser Rohstoffe wirkt sich negativ auf die Ökobilanz der Materialien und auf die Biodiversität aus.
      • Durch das Verbot von Einwegplastik sind besonders bei Lebensmittelverpackungen viele Alternativen entstanden. Nicht alle sind empfehlenswert.
      • Auch wenn es „Bio-Plastik“ heißt – faktisch ist das Material in vielen Fällen weder kompostier- noch recycelbar.
    • Neue Materialien auf Basis von nachwachsenden Rohstoffen entstehen auch in der Textilindustrie. Dazu gehören etwa Viskose, Bambusfaser und das ebenfalls auf Holz basierende Tencel. Diese werden im Verlauf des Herstellungsprozesses durch einen derart hohen Einsatz von Chemikalien wie Natronlauge oder Schwefelkohlenstoff nutzbar, dass sie trotz ihres natürlichen Ursprungs zu den „chemischen Stoffen“ zählen. Für Tencel ist es zwar gelungen, die Produktion so zu gestalten, dass es im Vergleich zu anderen Chemiefasern und auch konventioneller Baumwolle in Summe eine bessere Ökobilanz aufweist, ein Naturmaterial wird es dadurch aber natürlich nicht. Durch eine gestiegene Nachfrage und die damit verbundene anteilige Gewinnung des Ausgangsmaterials in Asien sind zudem die Transportwege mitunter lang. Auch wird es nicht gelingen, den Bedarf an Textilien für die Modebranche allein auf Basis von Holz zu bewältigen.

      Da die Nachfrage an ökologischen und veganen Produkten immer mehr zunimmt, wird auch für Leder nach nachhaltigen Alternativen gesucht. Gefertigt oder erforscht werden Schuhe, Taschen, Gürtel und Kleidung aus Lederalternativen wie Ananasblättern, Trester, Pilzen, Teakblättern, Kakteen, Kombucha, Kork, Papier und vielem mehr. Wie die natürlichen Rohstoffe genau verarbeitet werden, damit sie zu einem Material werden, das in seinen Eigenschaften Leder gleicht, ist wenig transparent. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es auch hier nicht ohne einen entsprechenden Einsatz chemischer Substanzen geht.
    • In Anbetracht komplexer Herstellungsprozesse, eines hohen chemischen Aufwands und fehlender Kompostierverfahren stellt sich die Frage, wie ökologisch die alternativen Materialien wirklich sind. Handelt es sich dabei um echte Verbesserungen oder um sogenanntes „Greenwashing“? Die Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Zu den genauen Ökobilanzen der einzelnen Materialien gibt es kaum öffentlich zugängliche Studien. Bekannt ist, dass Verbraucherzentralen vor Kunststoffgeschirr mit Beimischung von Bambusmehl, Reishülsen, Maisstärke oder Weizenstroh aus gesundheitlichen Gründen warnen. Zudem zeichnet sich ab, dass die neuen Materialien auch neue Probleme mit sich bringen – von einer fragwürdigen Gewinnung des Ausgangsmaterials über eine synthetische Verarbeitung bis zur Entsorgung. Im Einzelfall mögen alternative Materialien eine tatsächliche Verbesserung für die Natur bedeuten, etwa weil fossile Rohstoffe durch Abfallprodukte ersetzt werden. Auf dem Weg zu wirklich ökologischen Innovationen – oder bis es gelingt, weltweit und gänzlich auf natürliche Materialien aus verantwortungsvollen Quellen umzusteigen – können sie als Zwischenlösungen dienen. Ein Punkt bleibt jedoch unzweifelhaft: Die ökologisch beste Lösung wird dadurch erreicht, dass weniger, dafür bewusster und hochwertiger produziert und konsumiert wird. Wenn Produkte länger genutzt werden und die für ihre Herstellung aufgebrachten Rohstoffe die Zeit haben, nachzuwachsen, ist mehr gewonnen, als sich durch Innovationen in der Materialforschung jemals erreichen lässt. Eine wirkliche Wende schaffen wir folglich, wenn wir nicht nur unsere Materialien ändern, sondern auch unsere Lebensweise.
    • Unsere Empfehlungen zum Thema

      • MILK ist eine Agentur für Food Packaging und Design in Frankfurt/Main. Das Besondere: Auf ihrer Website gibt es ein „Material Lab", das wörterbuchartig „zukunftsweisende Verpackungsmaterialien für Lebensmittel“ auflistet. Bei annähernd 200 Einträgen von A wie „Algae Offset Ink“ bis Z wie „Zero economy meal tray“ macht es Spaß, sich durch vielfältige ökologische Ansätze zu klicken.
      • Plastik gibt es heutzutage – traurigerweise – überall. Da ist es nur konsequent, dass die Heinrich-Böll-Stiftung ihr umfassendes Werk zu „Daten und Fakten über eine Welt voller Kunststoff“ als „Plastikatlas“ bezeichnet. Die Themen reichen von der Geschichte des Materials über gesellschaftliche, ökologische und wirtschaftliche Folgen bis zu Alternativen und Zero Waste.
    • Zero Waste:
      Ein Leben mit bedachtem Konsum, ohne Verschwendung, viel Wiederverwertung und keinem Müll – das sind gute Voraussetzungen, um – losgelöst von konkreten Materialdiskussionen – auf eine gute Ökobilanz zu kommen. Umfangreiche Informationen zum Thema erhalten Sie unter
    • Fotos: Unsplash, Adobe Stock, Grüne Erde
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        • Anja Dommel meint
          Ein neues Versandkonzept
          Ich finde es bewundernswert, dass Sie sich so ausführlich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es zeit- und rechercheaufwändig ist, wenn man nach Alternativen zu herkömmlichen Materialien sucht. Das beginnt in meinem Fall als Malerin etwa mit der Ausarbeitung eines neuen Versandkonzepts für meine Kunst. Auch ich strebe an dieser Stelle einen Zero Waste Ansatz an. Was z.B. die sonst übliche Luftpolsterfolie obsolet macht. Wie kann man ein Gemälde sicher transportieren und die Verpackung wiederverwendbar gestalten? Das sind Fragem, die mich gerade beschäftigen und es ermutigt mich, hier Zeit zu investieren, um eine gute Lösung zu finden, so wie Sie es bei der Verpackung Ihrer Produkte ja ebenfalls tun!
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        • Ilse Rabitz meint
          Plastik
          Warum ist Grüne Erde bei den Gesichtscremen auf Pumpflaschen mit Plastik umgestiegen? Ich verstehe die Argumentation bzgl. Hygiengründen, finde aber das vermeiden von Plastik noch viel wichtiger!
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