Um die Ecke gedacht

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Wie stellt man eigentlich nachhaltige Möbel aus Holz her? Ein Besuch in der Entwicklungsabteilung von Grüne Erde.
Damit klar ist, wo man hier eigentlich gelandet ist, sagt Wolfgang Viehböck gleich zu Beginn: „Achtung, wir gelten als Spinner.“ Was er mit einem Augenzwinkern meint, versteht man spätestens, als er den Beistelltisch „Tornio“ in die Hand nimmt und auseinanderschraubt. Die drei Tischbeine sind an einem Fußgestell befestigt, das an eine Astgabel erinnert; dafür werden sie in ein hölzernes Gewinde geschraubt. Weil aber jedes Bein nur auf ein bestimmtes Gewinde passt, sind sie markiert: mit einem oder zwei Punkten. „Vermutlich meinen die meisten Kunden, dass wir dafür einen handelsüblichen Marker benutzen“, sagt Viehböck und grinst. Falsch gedacht. „Wir nehmen echte Tusche! Wäre sonst ja nicht nachhaltig.“ -
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Innovation und Qualität
Willkommen in der Entwicklungsabteilung von Grüne Erde, also dem Ort, an dem ohne Unterlass getüftelt, probiert, getestet wird. Vier Entwicklungskonstrukteure und Wolfgang Viehböck, der Leiter, feilen an zehn bis 15 neuen Produkten pro Jahr, neben Betten, Schränken, Tischen kommen auch Leuchten und Teppiche dazu. Gewerkelt wird im hinteren Teil einer großen Halle in Pettenbach, nur wenige Minuten von der Grüne Erde- Welt im Almtal entfernt. Die ehemalige Werkstatt stand lange leer, also zog das Unternehmen in die bestehenden Strukturen ein. Ideal, weil für sämtliche Firmengebäude ohnehin keine neuen Flächen versiegelt werden. Im vorderen Teil der Halle hat das Outlet seinen Platz gefunden, in der Mitte werden Grüne Erde-Möbel repariert und aufbereitet, auf die lebenslange Garantie gilt, hinten bauen Viehböck und Kollegen an den Prototypen neuer Schränke, Betten, Sofas.
Die Entwicklungsabteilung ist berstend voll mit Möbeln, viele davon sind nur zum Teil aufgebaut. Auf dem sogenannten „Prüffeld“ in einer Ecke des Raums wird ausprobiert, wie viel Sitzfläche, Lattenrost oder Polster erdulden können, bevor sie ohne Bedenken beim Kunden landen dürfen. „Die Möbel sollen im Laufe ihres Lebens ja viel aushalten und dann im besten Fall weitergegeben werden an die nächsten Generationen. Da müssen wir eben mitdenken, was den Menschen damit so einfallen könnte“, sagt der 53-Jährige.
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Nachhaltigkeit im Detail
All das klingt erst einmal nach „normaler“ Entwicklungsabteilung, aber das Team hier macht es sich deutlich schwieriger als anderswo. „Die wichtigste Frage, die wir uns jeden Tag stellen, lautet: Wie geht es am ökologischsten?“
Das gelte nicht nur für die Herkunft des Massivholzes, die Gewinnung der Stoffe, für den Kautschuk, für jeden Tropfen Oberflächen-Öl, für jede noch so dünne Schicht Holzleim. „Wir kennen durch die Deklarationspflicht aller unserer Lieferanten sämtliche Inhaltsstoffe – das gilt sogar für die Etiketten“, so Viehböck. Es dürfte wohl einzigartig sein, wie tief man hier in die Materie eintaucht. Spinner eben.
Weil der größte Teil der Möbel metallfrei hergestellt wird, experimentiert die Mannschaft stattdessen gern mit Holzverbindungen; über 400 Stück hat man in den vergangenen Jahrzehnten gesammelt, die verleimt, verzahnt, mit Lasche und Spannkeil gespannt als hölzerne Alternative funktionieren. „Die einfachsten Sachen sind eben die besten.“ Mitunter kommen dabei sogar lustige Namen hervor, wie bei Schrank „Tonda“ das „Drehriegelschubstangenschloss“. „Manche Kollegen aus anderen Betrieben mögen uns auf den ersten Blick vielleicht für rückständig halten, aber diese Einschränkung in der Materialität ist wirklich interessant und öffnet uns völlig neue Türen“, sagt Wolfgang Viehböck. -
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Inspiration aus der Vergangenheit
Inspiration für neue Produkte finden sich auch in der Vergangenheit. „Das Wiener Hofmobiliendepot ist für uns wie eine Bibliothek“, so Viehböck. Im Möbelmuseum im 7. Bezirk der Hauptstadt gibt es Sekretäre, Schränke und Spieltische aus der Zeit der Habsburger zu sehen. Und das in großen Mengen, weil es bis ins 19. Jahrhundert üblich war, sämtliche Möbel einzupacken und dorthin mitzunehmen, wo sich der Hof gerade aufhielt. Dafür wurden Quartiermacher vorausgeschickt, um Tapisserien, Betten, Tische an wechselnden Standorten neu zu arrangieren. Einen Überblick über das üppige Inventar verschaffte sich 1747 erstmals Maria Theresia. Sie war es auch, die Entscheidungen über Neuanschaffungen und Reparaturen stets selbst treffen wollte. Inklusive Kostenvoranschlag. Bescheidener und damit auch nachhaltiger gestaltet sich das Sortiment von Grüne Erde. Zu den rund 150 Möbelprodukten kommen jährlich etwa 15 neue dazu, dafür laufen andere aus oder werden überarbeitet. Normalerweise dauert die durchschnittliche Entwicklungszeit eines solchen Großprojekts etwa zwei bis drei Jahre, bevor ein neues Möbel auf den Markt kommt. Ausnahme: „LANA“, seit Sommer 2024 erhältlich, das war schon nach knapp 1,5 Jahren fertig. Das Sofa gilt als Vorzeigeprojekt, denn jenseits der ohnehin strengen geltenden Vorgaben für Grüne Erde-Produkte wurde hier noch eins genauer hingeguckt. Das komplett metallfreie Sofa, das als eines der „ökologischsten der Welt“ gesehen werden kann, ist für zwei bis vier Personen konzipiert.
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