Grünes für die Zukunft

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Wie geht es eigentlich dem Wald in Österreich? Ein Spaziergang mit Forstmeisterin Birgit Stöhr durch das Almtal
Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen? Das kann einer Forstmeisterin natürlich nicht passieren. Birgit Stöhr ist erst wenige Meter durch das Revier Tissenbach im Almtal gelaufen, über den Baumspitzen haben sich dampfige Wolken gebildet, da bleibt sie abrupt im Nieselregen stehen und fixiert einen Hang neben dem Forstweg, an dem einige Rotbuchen so eng nebeneinander im Boden ankern wie Gitterstäbe. „Oh, da müssen wir etwas machen“, sagt Stöhr. Die jungen Bäume schießen um die Wette, das Verhältnis von Höhe zu Umfang passt nicht mehr, die dünnen Stämmchen erinnern eher an ein Maisfeld als an ein Stück Wald. „Mindestens die Hälfte muss weg, sonst machen sich diese Rotbuchen bald das Leben gegenseitig schwer.“ -
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Nachhaltigkeit aus dem Wald
Einmal täglich marschiert die 40-Jährige durch eines der vier Waldreviere, die zum Stift Kremsmünster gehören, ihrem Arbeitgeber. Selbst, wenn viel Arbeit im Büro wartet: „Ich muss einfach hinaus und selbst sehen, was gerade draußen los ist.“ Unterwegs hat sie allerdings kaum Zeit, den würzigen Duft des Waldes einzuatmen, an den Buchen weit hinauf in den Himmel zu gucken, die Fü.e in den weichen Boden einsinken zu lassen – also das zu tun, was anderswo unter „Waldbaden“ läuft. Stattdessen scannt sie ihr Umfeld nach wenig sinnlichen Kriterien ab wie: Ist die Forststraße noch in Ordnung? Haben die Rehböcke ihre Geweihe an jungen Lärchen poliert und diese damit verletzt? Ist der Borkenkäfer bereits in eine umgestürzte Fichte eingezogen?
Zu entdecken gibt es für Birgit Stöhr mehr als genug. Der oberösterreichische Forstbetrieb kümmert sich um 5.500 Hektar Wald, dazu kommen mehr als 4.000 Hektar Berge, Ödland und der Almsee. Zum Vergleich: Ein Fußballfeld ist bis zu einem Hektar groß. Damit ist das Stift Kremsmünster, eine knappe halbe Autostunde von der Grüne Erde-Welt entfernt, einer der größten Waldbesitzer Oberösterreichs. Stöhr und ihr Team müssen während ihrer Rundgänge allerdings auch auf Dinge achten, die noch nicht zu sehen sind. Denn wer in 80 Jahren eine Buche fällen will, muss heute schon wissen, ob der Baum im Laufe seines Lebens genug Platz haben wird, um groß und stark werden zu können.
„Der Begriff der Nachhaltigkeit kommt aus dem Wald“, so die Forstmeisterin. „Denn bei uns wird immer nur so viel geschlägert, wie auch zuwächst.“ Wie viel Holz am Ende in den Revieren des Stifts zu finden ist, und wo, weiß Birgit Stöhr genau, alle Flächen sind längst digital erfasst. Dafür setzt sie vor allem auf die sogenannte Naturverjüngung, sprich: Der Bestand im Wald vermehrt sich über Samen und wächst damit im besten Fall ohne Zutun von Menschen. Die Rechnung scheint aufzugehen, wenn auch nicht immer ohne Unterstützung durch Kulturen aus Baumschulen. Laut dem Österreichischen Waldbericht 2023 ist die Waldfläche im Land in den vergangenen zehn Jahren täglich um sechs Hektar angewachsen. Fast die Hälfte davon umfasst Stämme mit mehr als 40 Zentimetern Durchmesser.
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Holz aus verantwortungsvollen Quellen
Dass es in den Wäldern genug Nachschub gibt, dafür interessiert sich auch Georg Stelzer. Der Produktionsleiter von „Terra Möbel“, einer hundertprozentigen Tochter von „Grüne Erde“, ist schließlich darauf angewiesen, dass genug Buche, Eiche, Zirbe, Kernbuche und Esche im Holzlager in Kärnten liegt, damit er und seine 68 Kollegen Schränke, Tische und Betten fristgerecht fertigen können. Doch damit nicht genug: Das Massivholz muss auch in sämtlichen Stärken für die unterschiedlichen Produkte vorhanden sein, trotz steigender Preise. „Wir haben im Abstand von zehn Millimetern alle Holzstärken da“, sagt Stelzer. Dazu kommt der hohe eigene Anspruch. „Astlöcher oder Holzschäden? Gibt es bei unseren Möbeln nicht.“ Manchmal sei es gar nicht so einfach, das Holz dann auch in der gewünschten Top-Qualität zu bekommen. „Für einen Tisch aus 20 Lamellen muss ich bestimmt 30, 40 Holzstücke hobeln und nach Farben sortieren, bevor ich das Material zusammen habe“, erklärt der Tischlermeister aus Sittersdorf.
Die kleine Gemeinde unweit der slowenischen Grenze ist so etwas wie das bullseye, also der Mittelpunkt, im Grüne Erde-Kosmos. Denn das Holz, das für sämtliche Produkte verwendet wird, darf nur aus maximal 500 Kilometer entfernten Wäldern rund um die Tischlerei geschlagen werden. Der Umkreis zieht sich bis nach Ungarn, Bosnien und Kroatien, doch der Großteil kommt aus Österreich. Die Buche etwa stammt zu 90 Prozent aus dem Wienerwald, jedes Stück Zirbe ist zu hundert Prozent in den Bergen der Republik gewachsen. Damit die tatsächliche Herkunft der Ware nachvollziehbar bleibt und die Transportwege kurz und damit nachhaltig sind, arbeitet das Unternehmen seit Jahrzehnten mit einer Handvoll Holzhändlern zusammen, „die stammen alle aus Kärnten und Salzburg, einer ist aus Bayern“, so Stelzer. FSC- bzw. PEFC-Zertifizierungen gelten bei Grüne Erde zwar als ökologischer Mindeststandard für Nachhaltigkeit, deren Einhaltung die Sägewerke allesamt garantieren müssen, doch der Blick auf die Siegel bleibt seit Jahren konstant kritisch. Entscheidender sei am Ende: „Mit Menschen zusammenzuarbeiten, die man seit Jahrzehnten kennt. Und denen wir vertrauen können.“ -
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Forstgesetz schützt Österreichs Natur
Damit die Zusammenarbeit auch jenseits jeder Sympathie vertrauenswürdig abläuft, wacht über allem das Österreichische Forstgesetz, das als eines der strengsten weltweit gilt. Dass knapp die Hälfte der Staatsfläche bewaldet ist, macht Österreich zu einem der waldreichsten Länder Europas. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts sah das während der Industrialisierung noch anders aus. Der hohe Bedarf an Holz für Salinen und Eisenhütten führte zu brutalen Kahlschlägen – und nach Unwettern wiederum zu Überschwemmungen und Muren-Abgängen. Seit nun schon mehr als 170 Jahren sorgt das Gesetz als Wächter über den Wald dafür, dass nicht wie wild geschlagen werden darf und nach der Holzernte ausreichend nachgepflanzt wird. Laut dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft wächst demnach in Österreichs Wäldern jährlich mehr nach, als geerntet wird. „Uns wird sehr genau auf die Finger geschaut“, sagt auch Forstmeisterin Birgit Stöhr. Geschlägert werden dürfe beispielsweise nicht, wenn die Bäume auf der benachbarten Fläche im Wald noch unter 1,30 Meter groß seien, also auf Brusthöhe. Der Grund dafür: „Diese Bäume sind dem Wild noch nicht entwachsen, demnach gilt der Fortbestand dieses Stück Walds als noch nicht gesichert.“
Das klingt alles gut, wäre da nicht die Klimakrise, die den Wäldern so schwer zusetzt. Denn selbst eine umsichtige Waldwirtschaft muss gegen extreme Hitze und Trockenheit, Stürme, Waldbrände und Schädlinge ankämpfen. Während der durchschnittliche Schadholzanteil in den 1980er- und 1990er-Jahren noch bei knapp 30 Prozent lag, sind heute etwa 50 Prozent Standard, so die Jahresbilanz 2023 der Österreichischen Bundesforste. Mehr als zwei Drittel des Schadens ist dabei auf den Borkenkäfer zurückzuführen, die Kosten für seine Bekämpfung lagen laut dem größten Naturraumbewirtschafter des Landes im vergangenen Jahr bei rund 32 Millionen Euro. Umso wichtiger ist ein gepflegter Wald, aus dem etwa umgestürzte Stämme entfernt werden, bevor der Käfer sie als Brutstätte entdeckt.
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Klimafreundliche Wälder für morgen
Denn nur ein gesunder Wald kann so auch ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen den Klimawandel sein. Wälder können den im CO2 enthaltenen Kohlenstoff in Holz und Boden binden. Allein der Wald in Österreich speichert auf seiner Fläche etwa 985 Millionen Tonnen Kohlenstoff in Biomasse und Boden. Aktuell setzen die Forstwirte dafür auf mehr Mischung im Wald; Fichte-Tanne-Buche, so wie früher. Fällt ein Baum aus, weil er die veränderten Umstände nicht packt, ist Ersatz da.
Über den richtigen Umgang im und mit dem Wald macht sich Birgit Stöhr jeden Tag viele Gedanken. „Ein Baumleben ist so lang. Woher sollen wir heute wissen, ob wir die richtigen Entscheidungen für den Wald in hundert oder zweihundert Jahren treffen?“ Grundsätzlich könnten sich Bäume zwar gut an neue Bedingungen anpassen, „aber die Klimaveränderungen kommen viel zu schnell“. Die Forstmeisterin muss nun zurück ins Büro; es ist Zeit, sich um liegengebliebenen Kram zu kümmern. Doch erneut bleibt die zweifache Mutter stehen und zeigt auf eine Fichte. „Die ist ja schön! So einen qualitativ hochwertigen Baum habe ich lange nicht gesehen.“ In diesem Moment ist Stöhr weit weg von Nutzungsplan und Logistikkette, von Hiebsatz und Holzpreis, sie steht jetzt einfach nur da, mitten im Wald. -
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