Die strengsten Richtlinien für Naturtextilien

  • Der Internationale Verband der Naturtextilwirtschaft e. V. steht hinter dem GOTS- und dem NATURTEXTIL BEST-Siegel. Dessen öko-sozialen Richtlinien sind die strengsten der Branche. Dazu ein Gespräch mit Heike Hess, Leiterin der IVN-Geschäftsstelle in Berlin.
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    • Wie würden Sie die Rolle des IVN in der Naturtextilbranche beschreiben: Pionier, Antreiber, Berater, Meinungsmacher, Lobbyist für die gute, öko-soziale Sache ...?

      Heike Hess: Die Frage würde ich am ehesten mit „ja“ beantworten, weil alles zutrifft. Der IVN ist zusammen mit seinen Mitgliedern sicher ein First Mover. Seit über 20 Jahren setzt sich der Verband für mehr Nachhaltigkeit in der Textil- und Lederwirtschaft ein. Durch unsere Richtlinien mit sehr hohen Anforderungen treiben wir aber hoffentlich auch die Industrie zu mehr Nachhaltigkeit an. Auch Beratung zu Nachhaltigkeitsthemen, Zertifizierung oder Beschaffung sind ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Und politisch ist der IVN ebenfalls aktiv, etwa im Textilbündnis bei Konsultationen zum Grünen Knopf, bei Siegelklarheit, dem Blauen Engel oder bei ISO-Normen.

      Was sagen Sie dazu, dass Grüne Erde nun von GOTS in Richtung NATURTEXTIL BEST weitergeht?

      Heike Hess: Der IVN und auch ich persönlich freuen uns sehr, dass Grüne Erde IVN-Mitglied geworden ist und die NATURTEXTIL BEST-Zertifizierung umgesetzt hat. Zum einen kenne ich Grüne Erde schon seit vielen Jahren, schon vor meinem Brancheneinstieg, und es gab immer wieder positive Berührungspunkte. Es ist sehr ambitioniert in Sachen Nachhaltigkeit, das passt hervorragen zum derzeit anspruchsvollsten Siegel für nachhaltige Textilien. Für mich gehört Grüne Erde einfach zur IVN-Familie dazu. Ich hoffe, dass wir das eine oder andere tolle Projekt gemeinsam umsetzen können.

      Das GOTS-Label ist bei öko-bewussten Konsumenten bereits sehr bekannt. Das noch strengere NATURTEXTIL BEST-Siegel noch wenig. Woran liegt das?

      Heike Hess: Einerseits hat der IVN den BEST-Standard im vollen Bewusstsein eingeführt, dass eine Forderung von 100 % Bio-Naturfasern das Portfolio zertifizierbarer Produkte einschränkt. Andererseits ist es gerade im Mode-, Sportswear- und Outdoorbereich nicht einfach, ganz ohne synthetische Fasern auszukommen (welche bei GOTS in bestimmten Maßen erlaubt sind). Naturfasern sind mit Ausnahme von Baumwolle auch eher im Premiumsegment zu finden. Außerdem hat der IVN in den letzten Jahren den Schwerpunkt eher auf den GOTS gelegt, der ja nun sehr erfolgreich am Markt etabliert ist.

      Konsumenten sind beim Einkaufen mit vielen verschiedenen Siegeln konfrontiert. Woher kann man wissen, dass jene des IVN vertrauenswürdig sind?

      Heike Hess: GOTS und NATURTEXTIL BEST sind sogenannte Dreiparteien-Standards. Das bedeutet, dass Siegelgeber, Zertifizierer und zertifiziertes Unternehmen wirtschaftlich voneinander unabhängig sind. Die Siegel des IVN sind verbindliche Siegel. Unternehmen müssen die Anforderungen direkt erfüllen, wenn sie eine Zertifizierung anstreben – ein Pass-Fail-Standard also. Es gibt ja auch andere Siegel, bei denen man lediglich eine Verbesserung der Nachhaltigkeits-Performance nachweisen muss. Unabhängigkeit und Verbindlichkeit machen zusammen eine hohe Glaubwürdigkeit aus. Das sieht auch Siegelklarheit.de, eine deutsche staatliche Bewertungsplattform für Gütesiegel, so und bewertet unsere Standards als empfehlenswert.
    • Neben den ökologischen Aspekten spielt bei den IVN-Labels auch die soziale Verantwortung eine große Rolle. Ist die Überprüfung sozialer Standards, etwa in Ländern wie China oder Pakistan, nicht ungleich schwerer als jene der ökologischen?

      Heike Hess: Sozialstandards in Fabriken zu überprüfen, ist oft nur eine Momentaufnahme. Solange der Auditor im Unternehmen ist, haben alle Arbeiter die Sicherheitshandschuhe an, wenn er weg ist, ziehen sie sie wieder aus: Das ist der Klassiker. Auditoren brauchen auch ein gutes Gespür, um im Gespräch mit Arbeitern zwischen den Zeilen zu lesen. Oft haben diese Angst, sich direkt über Missstände zu beschweren. Deshalb werden manche Arbeiter auch, wenn möglich, außerhalb der Fabriken befragt. Soziale Parameter zu messen, ist zum Teil auch schwieriger, als einen Wert im Abwasser zu messen. Plakativ gesprochen: Womit soll man zuverlässig messen, wie nett ein Chef zu seinen Mitarbeitern ist?

      Wir hören manchmal von Kooperationspartnern und Lieferanten, dass sie zwar nach den Richtlinien des IVN (GOTS oder NATURTEXTIL BEST) arbeiten, aber in Bezug auf eine offizielle Zertifizierung zögern. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe für diese Skepsis: Kosten, bürokratischer Aufwand, Verteuerung der Produkte, mangelnde Notwendigkeit für den Markt ... ?

      Heike Hess: Diese Frage ist schwer zu beantworten. Ich denke, dass sich viele Unternehmen so eine Zertifizierung auch teurer und aufwendiger vorstellen, als sie eigentlich ist. Dennoch spielen Kosten und Aufwand sicher eine Rolle. An der mangelnden Nachfrage von Seiten der Verbraucher liegt es inzwischen sicher nicht mehr. Denn diese legen immer größeren Wert auf Zertifikate. Einige Firmen werben sogar ohne eigene Zertifizierung mit einem unserer Siegel, was nicht erlaubt und abmahnbar ist. Aber die denken sich wahrscheinlich: "Man kann es ja mal versuchen ..."

      Wie können Unternehmen motiviert werden, den Schritt zur Zertifizierung zu machen?

      Heike Hess: Mehr Unternehmen zu einer Zertifizierung zu bewegen, braucht einen Maßnahmenmix. Auf der einen Seite müssten wir die Hürde herabsetzen – also nicht den Standard verwässern, aber die Zertifizierung vereinfachen und die Beschaffung entsprechender Rohstoffe besser unterstützen. Andererseits dann den Benefit erhöhen, mehr verbraucherrelevante Themen in die Standards einbauen und die Siegel noch bekannter machen.

      Was ist Ihre persönliche Motivation für die Tätigkeit beim IVN: ökologisches und soziales Engagement, Konsumenten aufklären, die Welt ein bisschen besser machen ...?

      Heike Hess: Diese Frage verdient als Antwort: „ein bisschen von allem“. Ich finde es toll, dass Unternehmen Verantwortung für Umwelt und Mensch übernehmen und sich sozial und ökologisch engagieren. Das möchte ich gerne unterstützen mit meiner Arbeit. Andererseits ärgere ich mich über Greenwasher, die das nicht oder zu wenig tun und auf der grünen Welle schwimmen. Aber mit den IVN-Standards, mit Engagement auf Regierungsebene und Verbraucheraufklärung kann man diesen Unternehmen auf den Zahn fühlen. Aktuelle Nachhaltigkeitsrisiken an Verbraucher zu kommunizieren und ohne erhobenen Zeigefinger Lösungen anzubieten, ist aber auch ein Teil meines Jobs, der mir viel Spaß macht.